Das Faltrad mit seinen 1000 Vor- und Nachteilen
Hier beginnt der Ernst des Faltradlerlebens.
Es war einmal…..
Immer wenn ich mit meinem Kleinen unterwegs bin, kommt unweigerlich die Frage: Warum ein Faltrad? Auch auf dem Blog wurde die Frage immer wieder gestellt. Schon mehrmals wollte ich dazu Stellung nehmen. Angefangen hab ich schon oft, aber außer ein paar Wortfetzen ist nichts dabei herausgekommen.
Ich muss zu diesem Beitrag anmerken, dass ich in den Jahren 2012 – 2016 intensiv mit dem Thema Faltrad auseinandergesetzt habe. Vier Jahre war ich zu 90 % mit einem Faltrad unterwegs. Der Höhepunkt meiner Faltradkarriere war eine dreimonatige Tour durch Thailand und Laos. Die Geschichte könnt ihr hier nachlesen. https://www.servus-servus.de/alles-gepackt/.
Warum Faltrad
Inzwischen bin ich in Altersteilzeit, aber zum Zeitpunkt dieses Blogbeitrages musste ich noch, um eine ausreichende Zahlung unserer Rentenanstalt zu bekommen, ein paar „Brötchen“ verdienen. Dazu fuhr ich, wenn es das Wetter zuließ, mit dem Rad zu Arbeit. Ein überzeugter Schönwetter-Radler muss bei unseren wechselhaften Witterungsverhältnissen auch mal auf den Zug/Bus ausweichen. Der Zug war eigentlich kein Problem. Aber der Bus zum Zug war bis vor kurzem ein normaler Reisebus, in dem ein ausgewachsenes Rad so viel Platz hatte wie ein Elefant in einer Telefonzelle.
Das Faltrad bietet dem Pendler den Vorteil, dass es, wenn gefaltet, als normales Gepäckstück in Bahn und Bus kostenlos transportiert wird. Ein ausgewachsenes Rad ohne Scharniere belastet in Bayern den Geldbeutel mit 5,50 € pro Tageskarte. Ob die Bahn die mit diesen Preisen die Verkehrswende befeuert darf bezweifelt werden. Die Mitnahme von Fahrrädern im Zug ist ein eigenes Kapitel und könnte noch einige Seiten füllen.
Des Weiteren durfte ich ab und zu mit meiner Tochter mitfahren. Wenn man von einer netten jungen Frau direkt vor der Bürotüre abgeholt wird, ist der innere Schweinehund schnell besiegt. Da liegt der Beifahrersitz dann doch näher als das Tretlager.
Das 28iger Crossbike in einen Fiesta zu stopfen ist mit dem Ausbau des Vorderrades zwar möglich, aber nicht sehr komfortabel. Wenn man 23 km im Berufsverkehr mit der Nase an der Windschutzscheibe hängt und der Rücken beim Aussteigen eine halbe Stunde in die Gerade gerückt werden muss wird es Zeit nach einer Alternative zu suchen.


Die Qual der Wahl
Faltrad oder Klapprad
Es kommt in der Szene übrigens nicht gut, wenn ein Faltrad als Klapprad bezeichnet wird. Klappräder sind diese einfachen wackligen (klapprige) Dinger aus den 1970iger Jahren bei denen sich während der Fahrt schon mal das Scharnier öffnen konnte. Ein moderner Falter besteht aus den gleichen hochwertigen Komponenten wie jedes gute große Fahrrad aus dem Fachhandel.
Birdy World
Für meine ersten Faltradversuche kaufte ich mir ein gebrauchtes Birdy-World bei Ebay-Kleinanzeigen. Das hatte 18 Zoll Reifen und war vollgefedert. Ausgestattet war es mit einer Sram Nabenschaltung mit 3 Stufen und einer Shimano Deore Siebengang-Kettenschaltung.


Vorteil:
Klein, schnell gefaltet, ideal für Stadtfahrten.
Nachteil:
Nur bedingt für Gelände und Touren geeignet.
Über Körpergröße 1,85 m zu klein.
Mehrere spezielle Radkomponenten verbaut, die nur über den Hersteller erworben werden konnten. Empfohlenes Gesamtgewicht mit Zuladung 110 kg
Es können nur kleine Radtaschen montiert werden
Mein Bike Friday – Mein RR
Das ist mein geliebter RR. Das RR steht übrigens nicht für Rolls Royce, sondern für „Roter Renner“. Wegen der roten Farbe ist mein amerikanischer Reisegefährte der Meinung, dass er von einem Ferrari abstammt. Ich lass ihn in dem Glauben, auch wenn er in Sachen Beschleunigung nicht ganz mithalten kann.


Auf der Suche nach einem passenderen Gefährt bin ich dann durch Zufall auf das Bike Friday gestoßen. Es fristete ein abgestelltes Leben in der Ecke eines Händlers. Dort wurde es wegen einer neuen hochglanzpolierten Liebe aufs Abstellgleis geschoben.
Trotz der antiquierten Kettenschaltung war es Liebe auf den ersten Blick. Vorne drei Kettenblätter, hinten ein Siebener Ritzel, was will man mehr. Ein paar Fahrten zur Arbeitsstelle ließen die Liebe weiter erglühen. Als Liebesbeweis spendierte ich meinem RR eine Shimano Deore XT Schaltung mit einem 9er Ritzel und vorne die gleichnamige Felgenbremse. Dazu wegen der besseren Dämpfung noch ein paar breitere Reifen.
Große Gepäcktaschen und viel Zuladung
Während die meisten Falträder das zulässige Höchstgewicht auf 110 kg beschränken kann das Friday hier 125 kg vorweisen. Ich als Fahrer bring schon 95 kg auf die Reifen. Die Zuladung für eine mehrtägige Tour liegt ohne Zelt bei 15 kg. Mit einer Plastikhütte im Gepäck ist man schnell bei 20 kg und somit über dem Limit. Somit ist das Friday für größere Zuladungen geeignet. Ein weiterer Vorteil war dass ich meine vorhandenen großen Vaude-Gepäcktaschen problemlos befestigen konnte.

Bei den anderen Faltern sind wegen des Gewichtes und der Falttechnik oft spezielle Komponenten verbaut. Die bekommt man nur beim Hersteller mit entsprechendem Aufpreis. Mein Friday kann mit allen Bauteilen die in jedem Fachgeschäft im Regal liegen umgerüstet oder aufgemotzt werden. (Ausnahme Vordergabel)

Bike Friday`s werden ausschließlich in den USA hergestellt. Deshalb gibt es leider nur einen Fachhändler in Deutschland. https://www.traumvelo.de/bike-friday
Vorteil:
Hohes zulässiges Gesamtgewicht.
Alle handelsüblichen Komponenten können verbaut werden.
Kann in jeder Fahrradwerkstatt umgebaut werden.
Ich kann ohne Spezialwerkzeug selber schrauben.
An dem serienmäßigen Gepäckständer können die handelsüblichen großen Satteltaschen angeklickt werden.
Nachteil.
Mein RR hatte zum Zeitpunkt des Kaufes schon ein paar Jährchen auf dem Buckel und lässt sich nicht ganz so schnell und handlich falten wie die neueren Modelle. Aber damit kann gut leben, muss es ja nicht täglich falten.
Langsames Kinderrad oder schneller Renner?
Neben den eingangs erwähnten Sprüchen musste ich mich immer wieder zu der Geschwindigkeit äußern.
Hier einer der originellen Brüller: Fährst du da schon vor Mitternacht los, dass du mit dem Kleinen um 7.00 Uhr am Arbeitsplatz bist.
Dieses Argument wollte ich widerlegen
Testfahrten und Vergleich
Die Fahrstrecke zur Arbeit betrug 23 km einfach. Auf diesem Weg wählte ich einen ebenen Streckenabschnitt ohne Ampel mit nur einer Kreuzung. Die Messstrecke betrug 9,7 km. Der Straßenbelag war zu 60 % Schotter und 40 % Asphalt. Um ein vergleichbares Ergebnis zu bekommen bin ich die Strecke mit den drei verschiedenen Räder im Schnitt zwischen 6 und 10x gefahren. Die Messergebnisse wurden alle mit der App von GPSies (jetzt AllTrails) auf dem Handy aufgezeichnet.
Hier die hochgerechneten Vergleichszahlen auf 100 km
Das 20“ Friday war auf 100 km überraschender Weise 11 Minuten schneller als das 18“ Birdy. Der Unterschied zwischen dem Friday und dem Crosser waren dann nur noch acht Minuten. Ob das auf 100 km einschneidende Werte sind, muss jeder selber entscheiden.
Die Entfernung in einer Stunde betrug im Vergleich zwischen dem Friday und dem Crosser 0,7 km. Bei einem Tagesausflug mit einer Fahrzeit von vier Stunden sind das ganze 2,8 km.
Das Friday ist genau wie das 28iger Crossbike mit einer Shimano XT 27 Gangschaltung ausgestattet. Die Sitzhaltung auf den Kleinen war etwas aufrechter, als auf dem Crosser was zu mehr Luftwiderstand geführt hat.
Fahrverhalten
Mit einem Audi A2 oder einem Q7 komme ich ziemlich komfortabel von München nach Hamburg. Wenn dann noch die Geschwindigkeitsbeschränkungen eingehalten werden auch noch fast zeitgleich. Trotzdem kommt kein Mensch auf die Idee die beiden Autos zu vergleichen.
Mit den Rädern ist das ähnlich. Alle sind für einen speziellen Zweck gefertigt. Je größer die Reifen umso ruhiger läuft das Rad. Mit dem Diamant- oder Slopingrahmen bekommt das Rad eine bessere Stabilität. Das Fahrverhalten, bedingt durch den niedrigen Rahmen meines RR ist natürlich etwas instabiler und Hibbeliger als bei einem der oben genannten und erschwert das freihändige Fahren. Nachdem das aber mit einem Bußgeld von 25 € belangt werden kann, ist das sowieso nicht wichtig. Nach 100 km hat man sich wieder komplett an das Fahrverhalten gewöhnt, als hätte es nichts anderes gegeben.
Drei Monate in Asien
Ich war 2016 drei Monate mit dem Bike Friday in Laos und Thailand unterwegs. Ganz ohne Probleme. Die Tour kannst du unter https://www.servus-servus.de/alles-gepackt/ nachlesen.

Ich habe mich damals für das Faltrad entschieden, weil für mich Reisen statt Rasen im Vordergrund stand. Ich wollte Land und Leute aus der Nähe kennenlernen und nicht auf Teufel komm raus Kilometer fressen. Wenn sich mir ein Hindernis in den Weg stellen sollte, fahre ich auch mal eine Strecke mit dem Bus. Besonders die hohen Berge in Laos forderten zu Hause am PC meinen ganzen Respekt. Wie du hier sehen kannst, hätte es das Faltrad nicht unbedingt gebraucht
https://www.servus-servus.de/mit-dem-bus-nach-vieng-kham/


In Laos kommt alles mit. Was nicht im Mittelgang oder in der Beifahrertüre des Busses Platz hat, wird auf dem Dach festgezurrt. Da hätte auch ein ausgewachsenes Rad Platz gehabt.
In Thailand ist das auch möglich. Allerdings fährt hier parallel oft ein komfortabler und schnellerer Minibus. Da wird es dann etwas enger. Hier musste ich trotz falten einmal den doppelten und einmal den dreifachen Preis zahlen. Schließlich nimmt so ein Rad ja auch anderen Passagieren den Platz weg. Da war es dann unwichtig, dass außer mir und meinem Rad niemand im Bus saß. Das Geld durfte ich trotzdem berappen. Bei Fahrkosten von 3-4€ pro Person ist das aber auch zu verschmerzen.
Die thailändische Transportmafia wolle an meinem süßen Kleinen auch noch ihren Reibach machen. Da haben wir uns aber erfolgreich gewehrt. https://www.servus-servus.de/in-den-faengen-der-transportmafia/
Bis auf ein paar wenige wirklich holprigen Strecken habe ich ein gefedertes ausgewachsenes Rad nie vermisst.

Ein weiterer Vorteil war, dass das Rad selbst in der kleinsten Kemenate neben meinem Bettchen schlafen konnte.

Zurzeit genießt mein RR seinen Ruhestand in der Garage und darf noch ab und zu mit ins Schwimmbad oder zum Bäcker die Frühstücksbrezen holen.


Lieber Herbb,so ein Faltrad ist ja eine sehr coole Idee, besonders was das Mitnehmen im Zug, Bus oder Auto angeht. Bis nach Laos würde ich mich damit nicht unbedingt trauen, aber ich könnte es ja mal im innereuropäischen Einsatz testen. Jedenfalls ein spannender Blogpost!